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LeseprobeVorwortWenn in einer überraschend warmen Novembernacht ein paar junge Menschen auf einer Parkbank sitzen und mehrere Flaschen Rotwein miteinander leeren, kommt es vor, dass nicht nur die Welt neu erfunden, sondern auch eine Idee aus der Kategorie »Was man mal tun müsste« geboren wird. Wohin solche Pläne meistens führen, weiß jeder: ins Gar-Nix. Im Jahr 2002 wurden David Finck und ich von der Universität Tuzla in Nordbosnien zu einer Lesung eingeladen. Organisiert wurde die Veranstaltung von Oskar Ters, der als Lektor für deutsche Sprache an der Uni Tuzla beschäftigt ist. Zum ersten Mal las ich vor bosnischem Publikum aus meinem Buch über Bosnien (DIE STILLE IST EIN GERÄUSCH). Es kam mir vor, als sollte ich Physikprofessoren die Relativitätstheorie erklären. Statt fauler Tomaten hagelte es nach der Lesung eine Menge Fragen. Was denn zu tun sei? Was solle man machen? – Die Antwort ergab sich wie von selbst: In einem kriegszerstörten, am Boden liegenden Land müsse man vor allem etwas machen. Ohne Geld. Vielleicht auch ohne Mut, ohne Perspektive oder Hoffnung. Hauptsache etwas. Ich musste an einen Song denken, dessen Refrain mich einst beeindruckt hat. Er lautet: Freedom is just another word for nothing left to loose. Das Gespräch setzten wir im kleineren Kreis auf einer Parkbank fort. Wenige Monate später fuhren einige Tausend gebrauchter Bücher, die David und ich in Leipzig gesammelt hatten, im LKW nach Tuzla, um dort den Grundstein für eine deutsche Bibliothek der Germanistikfakultät zu bilden. Oskar übersetzte mit der selbst gegründeten Theatergruppe »Ars Vivendi« die Dramen deutschsprachiger Autoren ins Bosnische und führte sie vor Ort erfolgreich auf. Andere Schriftsteller bereisten auf seine Einladung das Land, um in bosnischen Städten aus ihren Werken vorzulesen. Und auch eine andere Idee war nicht verloren gegangen: Wir hatten begonnen, gemeinsam an einer Anthologie zu arbeiten, in der junge bosnische Autoren und Autorinnen etwas über ihre Heimat erzählen sollten. Nicht bloß über den Bürgerkrieg, von dem man in Deutschland viel gesehen und wenig verstanden hat. Sondern von einer Liebe zu und dem Leben in einem Land, von dem man seit Kriegsende überhaupt nichts mehr hört. Diese spezielle Parkbank muss unter einem glücklichen Stern oder auf gesegnetem Boden gestanden haben. Wenn mir das Pathos für einen Moment erlaubt ist: Nie haben sich zwanzig Autoren und drei Herausgeber so sehr über das Erscheinen eines Buchs gefreut wie wir über »Ein Hund läuft durch die Republik«. Die Autoren sind zwischen 18 und 30 Jahren alt, die meisten leben seit Kriegsende wieder in Bosnien, einige in Deutschland oder Österreich, manche schreiben seit Längerem, andere haben auf unseren Aufruf hin zum ersten Mal ihre Gedanken und Gefühle in literarischer Form zu Papier gebracht. Unterschiedlicher könnten die Texte gar nicht sein – sie nähern sich ihrem Thema als Kurzgeschichte, Essay, Märchen oder Erfahrungsbericht – und sind doch durch zwei Elemente miteinander verbunden. Sämtliche Beiträge sind speziell für diese Anthologie geschrieben, und sie wurden, was mich besonders fasziniert, nicht auf Bosnisch, sondern auf Deutsch verfasst. Die Autoren teilen eine Erfahrung: Während des Krieges lebten sie als Flüchtlinge in Deutschland oder Österreich und haben das Deutsche als ein Idiom der Flucht und Vertreibung, aber auch als eine Sprache der Rettung und des Überlebens mit nach Hause genommen. In ihnen lebt eine besondere Verbindung zwischen unseren Ländern, von der hier im Westen kaum jemand etwas weiß. Auch davon will dieses Buch berichten. Vor allem aber erzählt es davon, was Heimat bedeutet. Wie man trotz eines grausamen Krieges, der vor fast zehn Jahren zu Ende ging, in einem Land leben kann, weil man sich dort zu Hause fühlt. Es erzählt von einer Schönheit, die der Liebe des Betrachters entspringt. Und von Hoffnung, die sich nur aus dem eigenen Tun und Fühlen, nicht aber aus äußeren Umständen nährt. Wer dem Hund bei seinem Lauf durch die jüngste Republik Europas folgt, wird Menschen kennen lernen, von denen er zaghaft glaubte, sie nicht verstehen zu können, weil er – anders als sie – den Frieden für einen Normalzustand hält. Juli Zeh, auch für David Finck und Oskar Terš |
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